GEHEIMPLAN GEGEN DEUTSCHLAND

Gastbeitrag und Reflexion von Carola von Seckendorff (Schauspielerin am Theater Münster, Leiterin des Stadtensemble, Regisseurin und Stückentwicklerin) zur Correctiv-Recherche als szenische Lesung mit dem Stadtensemble

Hunderttausende gehen gerade auf die Straße gegen Rechtsextremismus, motiviert und aufgeschreckt durch die Enthüllungen von Correctiv. Viele Theater reagieren darauf. So auch das Stadtensemble. Und das Kammertheater der kleine Bühnenboden. Der Bedarf sich auseinanderzusetzen ist groß.

Der Hintergrund in Kürze: Am 10. und 17. Januar veröffentlichte die Redaktion von Correctiv eine investigative Recherche rund um ein Treffen, das eigentlich geheim bleiben sollte: Im November 2023 kamen in einem Hotel bei Potsdam AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer zusammen. Sie diskutierten unter anderem Pläne zur Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland, zur Delegitimierung demokratischer Wahlen und zur Aufhebung der Gewaltenteilung. Keine 8 km von der Villa am Wannsee entfernt, wo 1942 der Holocaust beschlossen wurde.

Wir widmen uns in dieser sich stets aktualisierenden und sich weiterentwickelnden szenischen Lesung „Geheimplan gegen Deutschland“ den entlarvenden und leider nicht überraschenden Ausführungen des Recherchenetzwerkes Correctiv in einer Bühnenfassung (von Lolita Lax, Jean Peters und Kay Voges) .

Nach einem schnell ausverkauften Auftakt zieht das Stadtensemble mit der Lesung „Geheimplan gegen Deutschland“ nun durch verschiedene Räume in der Stadt: Das SpecOps, die Zukunftswerkstatt im Kreuzviertel, die St.Martini-Kirche, das Pumpenhaus, das Kap.8 in Kinderhaus, die Volkshochschule und das Kreativ-Haus. Wir hoffen damit möglichst unterschiedliche Menschen zu erreichen (Daten finden Sie unten ) und freuen uns sehr, dass sich das große Interesse am Thema in den sukzessive steigenden Anfragen aus der Stadt spiegelt, von denen ich viele erstmal vertrösten muss, weil ich mit der Organisation, die ich alleine und ehrenamtlich bewerkstellige, nicht mehr nachkomme.

Wir lesen in jedem Raum in einer jeweils anderen Besetzung, mit einem Ensemble von professionellen Schauspieler*innen und Sprecher*innen aus der freien Szene aber auch vom Theater Münster, an dem ich selber seit 1996 angestellt bin. Nach jeder Lesung findet ein moderiertes Nachgespräch statt. Wir freuen uns z.B. den Leiter der Villa ten Hompel Stefan Querl und Andrea Blome (Moderatorin und Journalistin) dafür gewonnen zu haben.

Der Unterschied zu der nicht ganz unumstrittenen Erstaufführung dieser szenischen Lesung am Berliner Ensemble, besteht darin, dass wir nicht von der Bühne „herunter“ lesen, sondern quasi gemeinsam mit unserem Publikum auf Augenhöhe an einer langen Tafel sitzen. Unsere Lesung ist keine Inszenierung, sie ist nicht unsere eigentliche künstlerische Arbeit, wir verdienen nichts daran, sondern es ist uns ein zutiefst brennendes Anliegen in den Austausch mit dem Publikum zu kommen. Die Lesung soll sich ständig weiterentwickeln und aktualisiert werden, wir lesen immer in anderen Konstellationen, mal sind wir 7 mal 17.

Das Autorenteam um Kay Voges stellt ihre Fassung zur Aufführung und Weiterentwicklung allen Theaterschaffenden tantiemenfrei zur Verfügung und merkt dazu an:

„Dies ist ein politisches Stück. Wir haben es unter hohem Zeitdruck realisiert. Das geht sicherlich auch anders. Und seitdem ist auch viel passiert, dass Sie vielleicht auch hinein arbeiten möchten. Wir empfehlen: Sprechen Sie mit lokalen Initiativen, mit postmigrantischen und jüdischen Communities, schreiben Sie es um, machen Sie sich das Stück zu eigen, laden Sie zum Spiel ein. Binden Sie die Menschen ein, die es konstruktiv weiterentwickeln möchten.“

Genau das ist unser Anliegen: Menschen einzuladen diesen Abend und vor allem  unser aller Gedankenräume mit uns zusammen konstruktiv zu erweitern und zu bereichern.

Ich freue mich sehr über die enorme Resonanz, einmal von Seiten der Künstler*innen sich in so hoher Zahl und mehrfach an den Lesungen zu beteiligen, von Seiten der Veranstalter, die uns großzügig ihre Räume zur Verfügung stellen und vor allem auch die vielen Menschen, die diesen Abend erleben wollen.

Nachdem ich begonnen hatte mit der Organisation der ersten Termine, motiviert und begeistert angetrieben durch den Stream des Berliner Ensemble (anhaltend abrufbar auf YouTube), fiel mir ein Kommentar von Ayse Güvendiren aus der Zeitschrift „Theater der Zeit“ in die Hände. Eine Regisseurin und Autorin mit türkischen Wurzeln, in Wien geboren und in München aufgewachsen, die mir eine Binde von den Augen gerissen hat. Sie schildert darin, wie sie die Aufführung des Berliner Ensemble wahrgenommen hat. Ich möchte sie zitieren:

„Theater hat Macht. Theater hat Verantwortung. Theater hat Tragweite. Doch es ist die Hybris, die Held:innen zu Fall bringt. Was als politisches Statement gedacht war, wurde zum Schauplatz einer Tragödie. Denn, mit Verlaub, unsere Deportation wurde zu eurer Unterhaltung.“

Der ganze Kommentar findet sich hier: https://tdz.de/artikel/78f0cf50-48b8-4d34-8c07-b18ecf657c69

Nach der Lektüre dachte ich zunächst: ich muss alles abblasen, wir können diese Lesung nicht machen, Ayse Güvendiren hat so recht und wir, ich haben es nicht gesehen. Das Theater Münster z.B. und viele andere Theater verzichten genau aus diesem Grund auf diese Lesung und zeigen ihren Widerstand, ihre Haltung auf anderem Wege.

Aber ich dachte: diesen Lernprozess möchte ich gerne teilen. Das, was ich nun verstanden habe, wofür ich Scham empfinde, möchte ich zugänglich machen.

Im Gespräch mit dem Ensemble entstand der gleiche Gedanke oder z.T. das gleiche Unbehagen angesichts der Bühnenfassung.

So entschieden wir uns den Kommentar Ayse Güvendirens als „Epilog“ hinten anzuhängen. Das Ziel viele Menschen über die Inhalte der Correctiv-Recherche aufzuklären erweiterte sich darum, zu befragen, wo wir als „Münsteraner Bildungsbürgertum“ eine Binde auf den Augen haben, wo wir uns befragen müssen, wo unsere Ressentiments liegen. Dass wir alle gegen den Rechtsextremismus sind und auch aktiv werden möchten, setze ich voraus. Aber wir überzeugen mit dieser Lesung keinen einzigen Wähler extrem rechter Parteien vom Gegenteil. Wir versichern uns, dass wir viele sind, wir haben Angst Geschichte könnte sich wiederholen, aber das genügt nicht. Wir fühlen uns hilflos, ratlos, machtlos. Aber was wir sofort tun können ist: Bei uns anfangen, unsere Perspektiven erweitern, Menschen zuhören, uns umfassend informieren, wir können wacher werden, sensibler für die Menschen, um die es in diesem Geheimtreffen ging.

Ich freue mich, dass wir nach der Erfahrung unserer Premiere feststellen können, dass wir die Berliner Lesung nicht einfach reproduzieren, sondern einen Weg gefunden haben mit dem Material so umzugehen, dass wir den Weg in eine ernsthafte Auseinandersetzung gefunden haben. Dass wir eher eine suchende Bewegung mit dem Text vollführen, als einen unterhaltenden Theaterabend mit Informationsgehalt darbieten.

Enden möchte ich zwei Zuschauerinnen-Zuschriften nach unserer Lesungs-Premiere:

„Der Abend hat mir bewusst gemacht, wie begrenzt meine eigene Perspektive doch ist. Ich habe zwar den Effekt wahrgenommen, den das Aufsplitten der Rollen und die geschlechterüberschreitende Aufteilung hatte, aber wie notwendig es ist, diese Distanz aufzubauen, habe ich erst verstanden, als eine Dame mit Migrationshintergrund ihre Perspektive schilderte.

Meine fehlende Umsicht ist auch deswegen sehr peinlich, weil mich vor Kurzem eine Kollegin anrief, die mir ihre eigenen Ängste schilderte (in meiner Funktion als Verantwortliche für die interne Kommunikation in einem mittelständischen Unternehmen) und sich eine klare Positionierung ihres Arbeitgebers wünschte.

Sicherlich sind wir alle gefordert, im offenen Diskurs Farbe zu bekennen. Dabei ist es wichtig, die Öffentlichkeit auch lokal jenseits der sozialen Medien anzusprechen. Vielleicht kann die Kunst, also das Theater, hier eine wichtige Rolle spielen und Menschen darin bestärken, sich für ihre Überzeugung einzusetzen und Hass, Terror und Ignoranz im öffentlichen Raum nicht weiter stillschweigend hinzunehmen. Ich denke Sie sind hier bereits auf dem richtigen Weg.“

„Der gelesene Epilog (hier ist der Kommentar von Ayse Güvendiren gemeint, Anmerkung der Blogautorin) hat für mich eine ganz besondere Bedeutung. Zunächst war ich sehr irritiert und fand die Worte sogar etwas übergriffig. Je länger ich jedoch darüber nachdenke (und das zu ich immer noch) umso entscheidender waren die „Worte“ einer Betroffenen.

Denn ich sitze auf einem Stuhl und lasse ich durch die Schauspieler auf das Geschehen in Worten und Gesten ein, aber dennoch befinde ich mich in der passiven, von außen schauenden Perspektive. Ohne diesen Epilog wäre ich wahrscheinlich nach Hause gegangen, auch mit vielen zu verarbeitenden Gedanken, jedoch nur auf meine Sichtweise beschränkt.

Das sieht nun etwas anders aus und darüber bin ich Ihnen und Ihrem Team sehr dankbar. Ich habe die Möglichkeit bekommen, einen Blick aus einer anderen Richtung auf die Entwicklung hier in Deutschland (eigentlich muss man schon Europa sagen)zu bekommen.

Es ist wichtig sich zu informieren, auf den Straßenversammlungen die Einstellung gegen „rechts“ zu demonstrieren. Das alles ist aber zu wenig und es reicht nicht mehr, da wir schon tief in der rechten Entwicklung sind.

Das ist erst mal mein Ansatz. Was ich genau machen kann, weiß ich noch nicht. Darüber werde ich mir weiterhin Gedanken machen und vielleicht finde ich eine Möglichkeit weiter daran zu arbeiten.“

In diesem Sinne grüße ich die Leser*innen dieses Artikels von Herzen.

Carola v. Seckendorff

Mitwirkende: Cornelia Kupferschmid, Soraya Abtahi, Amelie Barth, Ulrich Bärenfänger, Jonas Riemer, Florian Bender, Paula Berdrow, Stephan Biermann, Gabriele Brüning, Hermann Fischer, Sarah Christine Giese, Pascal Gunkel, Mika Latour, Christiane Hagedorn, Carolin Wirth, Carola v. Seckendorff, Manfred Kerklau, Michael Kolberg, Tilman Rademacher, Natalie Reineke, Yannick Hehlgans, Christoph Tiemann, Urs von Wulfen, Markus von Hagen, Christian Bo Salle, Beate Reker, Annette Roth, Eva Schröer, Gabi Sutter, Judith Suermann, Thomas Schweins, Andreas Weber, Andreas Ladwig

Termine: 

am 12.3. im Freiherr-vom-Stein-Saal, Domplatz 36, Anmeldung über info@stadtensemble.de

am 16.3. um 19 Uhr in der St. Martini-Kirche, Martinistraße 6 (ohne Anmeldung, vor Ort mit Spenden),

am 17.3. um 18 Uhr im Theater im Pumpenhaus, Gartenstr. 123, 48147 Münster, Tickets über: https://pumpenhaus.de/tickets-und-infos/

am 18.3. um 19 Uhr im Kap.8 in Kinderhaus, Idenbrockplatz 8, 48159 Münster, Tickets über www.localticketing.de

am 19.3 um 19 Uhr, Volkshochschule Münster (Forum), Aegidimarkt 3, ohne Anmeldung, beschränkte Platzzahl

am 24.3. um 20 Uhr im Kreativ-Haus, Diepenbrockstr. 28, Tickets über www.localticketing.de

www.stadtensemble.de

1 Kommentar
  1. Gaby Grunwald sagte:

    Das eigentliche Problem ist ja nicht die Existenz der Partei AFD, sondern die Tatsache, dass doch ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung dieser Ideologie folgt. Die Partei kann man verbieten die politischen Überzeugungen eines Teils der Bevölkerung nicht.
    Es müsste mehr aufgearbeitet werden, warum diese Bürger das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren haben und sich abgehängt fühlen

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